die Ungehorsame
Andrea schacht
Weltbild 2008 Gebundene Ausgabe 440 Seiten
Inhalt:
Leonie würde alles dafür tun, um ihr Elternhaus verlassen zu können – selbst einen ihr relativ fremden Mann heiraten. Die frischgetrauten Ehegatten sind beide aus Vernunftgründen eine Zweckehe eingegangen und begegnen sich zunächst mit kühler Höflichkeit. Doch bald kommt Leonie das Verhalten ihres Mannes merkwürdig vor und sie entdeckt viele Ungereimtheiten. Umgekehrt merkt auch Hendryk, dass Leonie nicht ganz die kühle, formvollendete Dame ist, die sie zu sein scheint. Beide haben dunkle Geheimnisse, die sie das Leben kosten könnten – und ihre langsam, aber stetig aufblühende Liebe.
Meine Meinung:
Ein ägyptischer Geheimbund, eine Augenklappe, merkwürdige Narben und Vorfälle und Personen, die in geheimnisvollen Verbindungen zu den Hauptfiguren stehen. Am Anfang lässt die Autorin ihre Leser sehr im Dunkeln tappen. Klar ist nur, dass jeder Furchtbares erlebt hat und versucht, seine Geheimnisse vor dem andern zu bewahren. Leicht ist das nicht, und so kommt es gerade am Anfang im Haushalt zu mehr als kühlen Szenen zwischen den Eheleuten. Nimmt man dann noch die Biedermeier-Zeit mit ihren starren Verhaltensvorschriften hinzu, wirkt die Atmosphäre oft mehr als frostig und ich fragte mich des Öfteren, wie diese beiden „tortured heroes“ wohl noch zusammenfinden können. Die Autorin bedient sich dabei eines einfachen, aber genialen Tricks: farbenfrohe und interessante Nebencharaktere. Da sind zum Beispiel die Zwillinge, die Hendryk liebevoll in seinen Haushalt aufnahm und über deren Erziehung (und Herkunft) Leonie und Hendryk schon mal einige Gesprächsthemen haben. Auch Leonies neue Freundin Camilla und Hendryks bester Freund Ernst tragen langsam zu einer entspannteren Atmosphäre bei. Die Nebenfiguren sind mehr als nur Stereotypen – auch sie haben ihr Kreuz zu tragen und gewisse Geheimnisse zu hüten. Überhaupt Geheimnisse – jeder in diesem Buch schien mindestens eines davon zu besitzen. Für mich war es sehr spannend zu lesen, wie Leonie und Hendryk sich langsam gegenseitig auf die Schliche kommen. Auch ihre Reaktionen auf das jeweilige Geheimnis des anderen haben mich sehr überrascht und mir gezeigt, dass ihre Freundschaft stärker ist, als ich anfangs angenommen hatte.
Die häuslichen Szenen vermitteln oft ein heimeliges Wohlgefühl und wechseln sich mit spannenderen Sequenzen, wie beispielsweise Rückblicke auf mysteriöse Ereignisse in Ägypten ab. Meist lässt uns die Autorin durch Leonies und Hendryks Augen an der Geschichte teilhaben, aber zwischendurch wird auch aus Sicht der Zwillinge und anderen Nebenfiguren erzählt. Gerade die Zwillinge fand ich sehr sympathisch – aufgeweckte Kinder, die zwar Unsinn im Kopf haben, aber auch durchaus verständig sind. Ihre Beobachtungen waren sehr amüsant zu lesen. Und das sage ich, wo ich sonst Kinder nicht so gern in einer Romanhandlung mag.
„Die Ungehorsame“ ist ein historischer Roman, aber das Augenmerk liegt sehr eindeutig auf der sich ganz langsam entwickelnden Liebe zwischen Leonie und Hendryk. Ich fand es sehr angenehm – und auch glaubwürdig – zu lesen, wie aus der anfänglichen Kühle sich langsam Vertrauen und Freundschaft entwickelt und schließlich in Liebe und Leidenschaft mündet.
Einige der oben erwähnten Geheimnisse konnte ich mir zum Teil schon denken (wenn auch nicht alles), aber ich fand es sehr gelungen, wie die Autorin die Auflösung ins Spiel brachte. Und gerade die Reaktionen der anderen waren oft das Überraschendste für mich.
Alles in allem ein sehr gelungenes Buch, das für mich leider ein wenig durch die häufigen Zeitsprünge verliert. Ich mag es lieber, wenn ein Ereignis bis zum Ende geschildert wird, und nicht, wenn ich im nächsten Kapitel, das einige Wochen später spielt, im Rückblick den Ausgang durch eine andere Person erfahre.
9 von 10 Punkten