Nele Neuhaus - Schneewittchen muss sterben

...wenn es denn mal etwas anderes als ein Liebesroman sein soll;)

Moderatoren: mallory, Mondfrau

Nele Neuhaus - Schneewittchen muss sterben

Beitragvon patwelli » 11.07.2010, 12:19

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Schneewittchen muss sterben
Nele Neuhaus
List Tb. 2010-06-11 Broschiert 537 Seiten

Klappentext:

An einem düsteren Novembertag finden Bauarbeiter auf dem stillgelegten Flugplatz der US-Armee in Eschborn ein menschliches Skelett, nur wenig später wird eine Frau von einer Brücke auf die Straße gestoßen. Die Ermittlungen führen Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein in die Vergangenheit: Vor vielen Jahren verschwanden in dem kleinen Taunusort Altenhain zwei Mädchen. Ein Indizienprozess brachte den mutmaßlichen Täter hinter Gitter. Nun ist er in seinem Heimatort zurückgekehrt. Als erneut ein Mädchen vermisst wird, beginnt im Dorf eine Hexenjagd. Quelle: List

Meine Meinung:

Nele Neuhaus kann einfach gut schreiben, schon nach den ersten Seiten ist man gefesselt, das Buch klebt förmlich in der Hand. Mit ihrem vierten Krimi um das Ermittlerteam Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff ist ihr ein wahres Meisterwerk menschlicher Intrigen gelungen. Zwei junge Mädchen sind vor 11 Jahren verschwunden, eine klare Sache für die gesamte Dorfgemeinschaft - es war Tobias, der zuerst mit Laura befreundet war und sie dann Stephanies wegen verlassen hat. Eine Beziehungstat? Ein Eifersuchtsdrama? Dumm nur, dass Tobias sich so überhaupt nicht mehr an die entscheidenden Stunden erinnern kann. Aber für das Dorf und den Richter reichen die Indizien aus und so wird Tobias des Doppelmordes schuldig gesprochen - obwohl die Leichen nie gefunden wurden. Bis heute bestreitet Tobias die Tat.

Neid, Missgunst, Hass, Vergewaltigung, Nötigung, Mord - nichts lässt die Autorin aus. Ein Dorf mit seiner ganz eigenen Dynamik. Jedes Genre ist hier vertreten, jeder spielt seine Rollen. Da gibt es die Krämerin, die den Klatsch des ganzen Dorfes in sich aufsaugt und genüsslich weiterverbreitet. Den Wohltäter, der trotz seines Reichtums immer dafür sorgt, dass es dem Dorf finanziell gut geht. Den Kultusminister, der von seiner 20 Jahre älteren Frau, einer Ärztin, in die richtigen Bahnen gelenkt wird. Das Gastwirtspaar und Eltern des angeblichen Mörders, die konsequent vom ganzen Dorf in den Ruin getrieben werden, man darf sie ungestraft hänseln und erniedrigen. Und natürlich die Jugendclique, die nach ihren eigenen Gesetzen handelt, die den Einserschüler, die Dorfschönheit, die Verwegene und die Eifersüchtige integriert haben. Als Tobias wieder nach Hause kommt, eskalieren die Ereignisse, die Anständigen wollen keinen Mörder in ihren Reihen. Denn solange er als Mörder gebrandmarkt ist, solange schaut keiner in sein eigenes Mäntelchen der Wohlanständigkeit. Denn dort gäbe es ja so viel zu entdecken.

Als dann auf einem brachliegenden Flughafengelände die Knochen eines der Mädchen entdeckt werden, bricht alles wieder auf. Beherzt greift Pia Kirchhoff ein, sie vertieft sich in die damaligen Ermittlungsakten und deckt recht schnell Unstimmigkeiten auf. So stimmt der Zeitraum zwischen zwei Zeugenaussagen nicht, Tobias hätte in dieser kurzen Zeit niemals die Leiche soweit wegschaffen können. Auch fehlen auf einmal Aussagen und Protokolle, ihr fallen sofort fehlende Fragen und Nachforschungen auf, die die Ermittler nie gemacht haben, da sie von Anfang an von Tobias’ Schuld überzeugt waren. Die Dorfgemeinschaft will dieses aber nicht wahrhaben, selbst vor körperlichen Angriffen schrecken sie nicht zurück, ihnen ist alles recht, Tobias und seine Familie zu vertreiben. Dabei lebt die Mutter schon gar nicht mehr bei ihnen, sie konnte die Intrigen nicht mehr vertragen. Bei einer Auseinandersetzung mit einem unbekannten Mann wird sie von einer Brücke gestoßen und überlebt schwer verletzt. Ein Mordanschlag?

Amelie, eine junge rebellische Fasterwachsene, wohnt mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter in dem Haus, in dem einst Schneebergers wohnten, die Eltern der verschwundenen Stephanie. Selbst eine Fremde in dem kleinen Dorf fallen ihr als Außenstehende sofort die veränderten Stimmungen und merkwürdiges Verhalten der Dörfler auf. Sie mag Tobias, bei ihrem Versuch ihm zu helfen und Erkundigungen einzuziehen, wird man auf sie aufmerksam. Als sie verschwindet, steht Tobias sofort wieder im Fokus der Ermittlungen. Oder hat doch Thies, ein autistischer junger Mann, der Zwillingsbruder von Tobias’ früherem besten Freund Lars, mehr mit der Sache zu tun, als allgemein angenommen? Thies spricht nicht, außer zu Amelie, aber er malt und als verstörende Bilder über das damalige Geschehen von ihm auftauchen, nehmen die Ermittlungen dramatische Wendungen an.

Stück für Stück kommt die Autorin dem Geschehen auf die Spur, immer wieder gibt es neue Ermittlungserkenntnisse und verdächtiges Verhalten einiger Leute. Sie deckt die dunklen Geheimnisse des Dorfes auf, was die Gemeinschaft doch lieber geheim halten möchte. Es ist schon perfide, wie ein Opfer auserkoren wurde und es auch bleibt, nur damit andere ihr Leben weiterführen können. Die Dynamik eines Dorfverbandes, dessen Mitglieder alle ein Stückchen Geheimnis eines großen Ganzen hüten, wird auf eine harte Probe gestellt. Wir gut, dass sich doch endlich ein paar Gewissen regen und so nach und nach Klarheit in die Sache kommt. Manchmal wird es ein bisschen unübersichtlich, denn es sind recht viele Personen, die eine Rolle spielen.

Genauso gelungen ist auch die Integration des Privatlebens der Ermittler Bodenstein, Kirchhoffs und ihres Teams. Es passt einfach und man ist genauso gefangen in ihren privaten Problemen, wie man auch endlich den Mord lösen möchte. Vielschichtige, tiefgründige Charaktere hat Nele Neuhaus hier geschaffen, menschlich und mit Fehlern, die sich auch manchmal auf ihre Arbeit auswirken. Auch wenn man die anderen Bände nicht kennt, ist es nicht weiter schwierig, den Ereignissen zu folgen. Einfühlsam und sensibel bringt sie mit dem Autisten Thies einen schwierigen Charakter unter, das Krankheitsbild des Aspererger Syndroms verstört bei ihr nicht, sondern bringt es dem Leser näher, es erklärt anschaulich und lässt Berührungsängste schwinden. Sie lässt ihn nicht als Trottel dastehen, verschönert aber auch seine Krankheit nicht, sondern schildert gefühlvoll seine Symptome und Eigenschaften. Man merkt schon, dass Thies Empfinden gestört ist – aber er handelt wesentlich normaler als so mancher in der Dorfgemeinschaft.

Ein absolut gelungenes Buch, nicht nur ein Krimi sondern auch ein Gesellschaftsdrama, welches auf perfide Art dem Leser zeigt, wozu Menschen in der Lage sind. Menschlichkeit ist manchen ein Fremdwort, ein Eintreten auf den schon am Boden liegenden ist feige und hinterhältig. Die angebliche Abhängigkeit von sogenannten Wohltätern treibt üble Auswüchse ans Licht, mit Anklagen und Verurteilungen ist man schnell bei der Hand. Sie zu verbreiten ist strafbar, aber die Selbstgerechtigkeit sogenannter anständiger Menschen ist ohne Grenzen. Lediglich das Ende war dann doch zu übertrieben, hier wäre etwas weniger Dramatik besser gewesen.

Fazit

Nele Neuhaus lässt ihre Figuren wachsen und gibt ihnen viel Raum, sich zu entfalten. Sie beschränkt sich nicht nur auf ein paar Personen, sondern lässt viele verschiedene Menschen zu Wort kommen. Dadurch ergibt sich eine unheimliche Bandbreite von verschiedenen Charakteren, die man als Leser ein Stück ihres Lebens begleitet und mit ihnen leidet, weint oder sich freut. Viele verschiedene Ereignisse bilden einen gelungenen Roman, dessen Krimihandlung zu einem überraschenden Ende führt, bei dem sich so manche Personen anschließend neu orientieren müssen.

Von mir gibt es wegen dem Ende nur 4,5 von 5 Punkten

:stern
Zuletzt geändert von patwelli am 06.11.2012, 18:14, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon SchneeMcKettrick » 11.07.2010, 12:36

:schreckgirl :bittenein :panic :schnellrenn :heuler
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Beitragvon patwelli » 11.07.2010, 12:58

:augen :friede :knuddel

Ich kann für den Buchtitel doch nichts :versteck
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Beitragvon Wildfee » 11.07.2010, 13:01

:lach
*beschützendvorSchneehinstell*
:mrgreen:

Rezi hört sich verdammt interessant an!
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Hat die Blume einen Knick, war die Hummel wohl zu dick.
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