Audrey Niffenegger: Die Zwillinge von Highgate

...wenn es denn mal etwas anderes als ein Liebesroman sein soll;)

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Audrey Niffenegger: Die Zwillinge von Highgate

Beitragvon leia » 10.02.2011, 10:01

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Die Zwillinge von Highgate
Audrey Niffenegger
Fischer, S., Verlag GmbH 2009-10-28 Gebundene Ausgabe 432 Seiten

Achtung! Hier sind ein paar Spoiler versteckt! Sorry :versteck

Klappentext:
Verlieren wir die große Liebe, bleibt uns für immer die Erinnerung - denn sie ist stärker als der tod. So kehr die verstorbene Elspeth zurück zu ihrer Liebe Robert, aber auch zu all den anderen, denen sie nahestand: Ihrer Zwillingsschwester Edie und den Nichten Valentina und Julia. Auf dem romantisch verwilderten Friedhof Highgate und um ihn herum entspinnt sich ihr aller Leben. Wie in ihrem Roman "Die Frau des Zeitreisenden" erzählt Niffenegger bewegend und sehr einfühlsam von der unstillbaren Sehnsucht, dem anderen nahe zu sein, vom Schmerz des Verlustes und dem unheimlichen Gefühl, im anderen sein zweites Ich zu haben.
Atmosphärisch, bezaubernd, betörend." New York Times

Meine Einschätzung:
So, ich neige eigentlich nicht dazu, Bücher, die ich gelesen habe, zu verreißen. Dazu habe ich viel zu viel Respekt vor den Autoren. Ich habe bisher auch noch keine einzige Rezi zu diesem Buch gelesen, d.h. ich beschreibe jetzt meine Gedanken halbwegs unvoreingenommen, geradeso, wie ich es empfunden habe.

Elsbeth, eine britische Antiquarin, vererbt ihren Nichten Julia und Valentina eine Wohnung in London. Allerdings ist das Erbe mit einigen Auflagen verbunden. Die jungen, orientierungs- und ziellosen Frauen sollen ein Jahr in London leben, bevor sie die Wohnung verkaufen dürfen. Während sie die touristischen Attraktionen von London erkunden, erstarkt Elsbeths Geist, der in ihrer alten Wohnung gefangen ist und sie versucht Kontakt mit den Mädchen auszunehmen, was ihr auch gelingt. Valentina, die sich aus der einengenden Beziehung zur ihrer Zwillingsschwester befreien will, bittet Elsbeth um Hilfe, die in der Lage zu sein scheint, Seelen in ihren toten Körper zurückzubringen.

Fangen wir mit den positiven Aspekten an:
Niffeneggers Schreibstil und Ihre Sprache gefallen mir außerordentlich gut, Dialoge und Beschreibungen lassen sich schön flüssig lesen und sind ausgewogen. Manchmal beschreibt sie direkt die Gedanken der Personen zu einem Dialog, indem sie diese kursiv dahinter setzt. Schönes Stilmittel, das mir gefallen hat. Wie oft sagt man etwas und denkt gleichzeitig etwas ganz anderes?
Die Beschreibung des Londoner Highgate Friedhofes war sehr - wie steht es im Klappentext? - atmosphärisch. Obwohl ich noch nie dort war, habe ich ein (sehr morbides) Bild dieses Ortes vor mir. Auch das Haus am Friedhof, in dem Elspeth, Robert und Martin leben, wird so ausführlich geschildert, daß ich es zeichnen könnte (wenn ich diese Technik beherrschen würde ;-) ).
Das Universum des Romans dreht sich um diese beiden Orte, der Rest von London bleibt schemenhaft und gleicht einer Reisebeschreibung für hastige Amerikaner nach dem Motto "London in three days".

Nun zur Geschichte selbst:
Ich mag Bücher, wenn ich einzelne oder mehrere Protas sympathisch finde und mich in ihre Situation hineindenken kann. Das ist mir mit der personellen Ausstattung dieses Romans nicht gelungen. Überhaupt nicht!!!!

Beginnen wir mit Martin und seiner Frau Marijke. Martin wird von Zwangsvorstellungen gequält und da er sich weigert, einen Arzt aufzusuchen, wird sein Leben und das seiner Frau immer unerträglicher. Die ausführliche Beschreibung seiner Psychose (heißt das so in der Fachsprache) und seines Verhaltens waren mir viel zu langatmig und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht besonders, da ich weder Psychologin oder Psychaterin bin. (Vielleicht bin ich da gerade etwas sensibel, aber schon im hochgelobten "Angerichtet" spielten psychisch kranke Menschen die Hauptrolle *stirnrunzel* und da fehlt mir einfach das Verständnis...) Zugegebener Weise hat es mich gerührt zu beobachten, wie er dank der Medikamente, die er von Julia untergejubelt bekommt, sich aus seinen Zwängen befreit. Aber die Wiedervereinigung mit Marijke war dann doch höchst unglaubwürdig! Seine Frau hat sich in zwei Jahren immer seltener bei ihm gemeldet und schließt ihn dann einfach so wieder in die Arme? *kopfschüttel*.

Das Ehepaar Edie und Jack leben auch in einer sehr merkwürdigen Beziehung, die geprägt ist von Geheimnissen und Lügen und man möchte beide unentwegt schütteln in ihrer wortlosen Beziehung.

Robert, Elsbeths Lebensgefährte, muß auch irgendeine psychische Erkrankung haben, die ich nicht benennen kann. Wie sonst kann man das Verhalten eines erwachsenen Mannes erklären, der zwei jungen Frauen wochenlang hinterherschleicht, statt sich ihnen vorzustellen oder dessen Lebensinhalt Führungen auf einem Friedhof sind? Seine Trauer um seine Lebensgefährtin Elsbeth ist ja nachvollziehbar, aber dann beginnt er diese Beziehung zu Julia, während er gleichzeitig mit Elsbeths Geist innige Unterhaltungen führt und trägt zum Schluß die Hauptverantwortung für den schrecklichen Tod von Julia???? Was für ein gruseliger Typ!

Die Zwillinge Julia und Valentina: Ich kenne mich mit eineiigen Zwillingen nicht besonders gut aus, aber die beiden haben doch eindeutig auch keine normale Beziehung, oder? Sie leben in einer symbiotischen Beziehung, in der Julia die Bestimmende zu sein scheint. In der Erziehung der Mädchen muß einiges schief gegangen sein, was sicher auch mit den problematischen Zwillingen Mutter/Tante zu tun hat. Valentina will sich aus der symbiotischen Beziehung zu ihrer Schwester befreien und wählt den Tod (inklusive geplanter Auferstehung) als Ausweg.
Und an dieser Stelle habe ich nur noch den Kopf geschüttel. Wie schräg ist das denn?

Und jetzt kommen wir zu Elsbeth: Was für eine furchtbare, egoistische Person! Schon das Testament ist eine Zumutung für alle Beteiligten. Aber sie geht im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Sie hängt so sehr an ihrem körperlichen Leben, daß sie ihre Nichte/Tochter opfert. Das ist so unglaublich grausam, daß mir es mir die Fußnägel hochrollt.

Das Buch endet für mich absolut unerträglich. Elbeths Geist fährt in den toten Körper von Valentina (der bestimmt schon ein wenig angegammelt war), schnappt sich Robert und haut ab. Das wäre ja schon schlimm genug, aber daß sie dann noch schwanger wird. AAAAAAAAAAAAAhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh.
Ich mußte immer an einen Zombie denken. *schüttel*


Finde nur ich das gruselig und ekelig? Ich bin gespannt, wie Ihr auf diesen Roman reagiert habt und gleich werde ich mir auch die Rezis im Internet mal zu Gemüte führen.

Obwohl ich ja sehr gerne fantastische Geschichte mit paranormalen Elementen lese und dieser Roman ein wenig an die Schauerromane der viktorianischen Zeit erinnert, die ich auch sehr gerne mag, driftet die Autorin für meinen Geschmack ungewollt ins Horrorgenre ab und die zahlreichen psychischen Krankheiten der Protas überfordern mich. (Außerdem frage ich mich, warum gerade Menschen mit psychischen Problemen für Autoren so interessant sind.)

Wahrscheinlich einfach meine Erwartungen an dieses Buch anders, denn der Klappentext und das Cover haben mich in die Irre geführt.

Mein Fazit:
Ein Roman, der zur Diskussion anregt, aber in meinen Augen eher verstörend als betörend und bezaubernd zu nennen ist.

:stern
Zuletzt geändert von leia am 10.02.2011, 12:01, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Audrey Niffenegger: Die Zwillinge von Highgate

Beitragvon SchneeMcKettrick » 10.02.2011, 11:37

öh, du, könntest du mal spoilern (hilfe, da steht soviel dass man das buch gar nicht mehr selbst lesen muss ;) ) und den text anders formatieren? kopieren und einfügen passt nicht immer :lol:
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Re: Audrey Niffenegger: Die Zwillinge von Highgate

Beitragvon leia » 10.02.2011, 12:03

Oh, sorry. Ich hoffe, jetzt ist es so in Ordnung?
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